Das Fundament 6/2007
Irrtum und Fälschung
in der Wissenschaft
Vortrag von Michael Kotsch, Theologe, Bad Meinberg, im Rahmen der
DCTB-Hauptkonferenz 2007 in Dassel (gekürzt)
  Immer wieder kommen durch
die Medien Beispiele von wis-
senschaftlicher Fälschung an die
Öffentlichkeit.
Der als Klonpionier gefeierte
Südkoreaner Woo-Suk Hwang
wurde 2006 als Fälscher entlarvt.
Seit Beginn der neunziger Jahre
beschäftigte sich der ausgebildete
Tierarzt Hwang an der Staatli-
chen Universität in Seoul mit der
Fortpflanzungsbiologie. 2004
überraschte Hwang die Fachwelt.
Als erstem Wissenschaftler gelang
es ihm angeblich, aus Körperzel-

len des Menschen Embryonen zu
klonen und aus diesen Embryonen
Stammzellen zu gewinnen. Seinen
Durchbruch verkündete er der
Weltpresse auf der Tagung der
Amerikanischen Wissenschaftler-
vereinigung (AAAS). Schon 2005
wollte Hwang die Effektivität
seiner Methode soweit gesteigert
haben, dass das therapeutische
Klonen nun greifbar nahe schien.
Nach diesem Durchbruch wurde
der Tierarzt Hwang nicht nur
von Fachwissenschaftlern über-
schwänglich gefeiert. Mehrere

Fachaufsätze in renommierten
Wissenschaftsmagazinen erschie-
nen. Diese Studien galten für viele
Forscher als Qualitätsgarantie.
Die wissenschaftlichen Prüfer der
Magazine fanden nichts zu bean-
standen. In Korea wurde Hwang
als Nationalheld verehrt. 2005
wurde ihm zu Ehren sogar eine
Sonderbriefmarke herausgege-
ben. Sie zeigt einen Gelähmten,
der geheilt aus seinem Rollstuhl
springt. Erste Zweifel wurden laut,
nachdem sein amerikanischer Ko-
operationspartner Gerald Schatten
sich von Hwang distanzierte und
ihn beschuldigte, Eizellen von
seinen Mitarbeiterinnen für die
Forschung verwendet zu haben.
Hwang gab dieses unethische
Vorgehen zu und räumte ferner
ein, viele Frauen für ihre angeb-
lich selbstlosen Spenden bezahlt
zu haben. Es folgte ein rasanter
Absturz. Vorher warb Schatten
allerdings noch im eigenen Interes-
se führende Mitarbeiter aus Korea
ab und meldete eigene Patente auf
die von Hwang entwickelte Klon-
Methode an. Heute steht fest: Die
beiden großen Erfolgsmeldungen
der Arbeitsgruppe Hwang waren
gefälscht. Im Labor Hwang konnte
keine einzige geklonte Stammzel-
len-Linie gefunden werden. Neun
Irrtum und Fälschung in der Wissenschaft
seiner elf geklonten Stammzell-
linien waren frei erfunden, die
Herkunft der beiden anderen frag-
würdig. Infolge dieser Fälschungen
wurden hohe Forschungssummen
und viel Arbeitskraft weltweit auf
eine falsche Fährte gesetzt.
Im Juli 2005 stellen Priam C.
Martinen, Melissa S. Anderson
und Raymond de Vries im Wis-
senschaftsjournal „Nature“ die
Ergebnisse ihrer Untersuchungen
über alltägliche Fälschungen in der
Wissenschaft vor. Das Team um
Martinson verschickte mehr als
7500 Fragebögen an US-Wissen-
schaftler verschiedener Karrierestu-
fen aus dem Gesundheitsbereich.
Rund ein Drittel der befragten
Wissenschaftler gaben an, in den
letzten Jahren wenigstens einmal
an Fabrikation, Fälschung und
Diebstahl geistigen Eigentums
beteiligt gewesen zu sein. Plagiate
oder echte Fälschungen gaben nur
jeweils zwei Prozent zu. Daten
zurückgehalten zu haben, weil sie
vorangegangenen eigenen For-
schungsergebnissen widersprachen,
gestanden sechs Prozent, und den
eigenen Forschungsansatz auf
Wunsch von Geldgebern verändert
zu haben, sogar 15,5 Prozent. Ähn-
lich häufig wurde über fragwürdige
Daten in den Arbeiten von Kolle-

Das Fundament 6/2007
gen hinweggesehen. 27,5 Prozent
hätten Schwierigkeiten, die von
ihnen verwendeten Daten tatsäch-
lich zur Verfügung zu stellen. Die
Deutsche Forschungsgemeinschaft
weist in ihrer Statistik über die
Anrufung des Ombudsmannes zur
Einhaltung ihrer „Empfehlungen
für gute wissenschaftliche Praxis”
eine jährliche Zunahme der Fälle
unkorrekten Verhaltens aus und
befürchtet dadurch einen Vertrau-
ensschwund für die Wissenschaft.
Kein wissenschaftlicher Fachbe-
reich ist von Fälschungen und Ma-
nipulationen ausgenommen. Einige
weitere Beispiele sollen das zeigen.
Im Herbst 2000 entschuldigte sich
der berühmte japanische Archä-
ologe Shinichi Fujimura vor der
Weltpresse und seinen Landsleu-
ten. Mit tränenerstickter Stimme
verliest er sein Schuldbekenntnis:
„Ich wurde Opfer der Versuchung
... Ich habe etwas getan, was ich
nicht hätte tun sollen.” Fujimura
war von Journalisten der Tages-
zeitung „Mainichi“ dabei ertappt
und fotografiert worden, wie er
höchstpersönlich „altsteinzeitliche
Werkzeuge” vergrub, um sie später
wieder „entdecken” zu können.
Ähnliche Stücke hatte Fujimu-
ra kurz zuvor noch als ältesten
Nachweis menschlicher Siedlungen

in Japan präsentiert. Seit 1981
bemühte sich Fujimura durch spek-
takuläre Funde zu belegen, dass
Japan schon vor über einer halben
Million Jahre von höchst intelli-
genten Menschen besiedelt war,
die steinerne Grabmäler und bunt
bemalte Werkzeuge hervorgebracht
hatten und sogar schon Mathema-
tik kannten. Von seinem Posten als
Vizepräsident des paläolithischen
Institutes von Tokohu wurde
Fujimura nach Bekanntwerden
seiner Fälschungen entbunden und
kündigte konsequenterweise an, er
wolle sich künftig von der Archäo-
logie gänzlich fernhalten.
Der renommierte Ulmer Krebs-
forscher Friedhelm Herrmann,
eine der großen Hoffnungen der
deutschen Krebsforschung, hat
über Jahre hinweg seine Karrie-
re mit erfundenen Ergebnissen,
am Computer manipulierten
Abbildungen und gestohlenen
Daten aufgebaut. Mit dabei seine
ehemalige Mitarbeiterin Marion
Brach, die nach ihrer Trennung
eine Professur an der Universität
Lübeck innehatte. Herrmann war
Mitglied in allen wichtigen Fach-
gesellschaften und Sprecher der
deutschen Gentherapeuten. Erst
waren es nur die Publikationen, die
das Forscherduo während seiner
 Irrtum und Fälschung in der Wissenschaft

gemeinsamen Zeit am Berliner Formen von

Max-Delbrück-Centrum (MDC)
anfertigte, die unter Fälschungs-
Fälschungen
verdacht standen. Doch eilends Fälschungen in der Wissenschaft
einberufene Untersuchungskom- können recht verschiedenartig
missionen fanden heraus, dass die aussehen:
ersten gezinkten Publikationen
a. Messergebnisse werden unter-
schon in ihrer Freiburger Zeit
schlagen,
(1990/91) erschienen. Glaubwür-
b. Daten werden angepasst,
digkeit erhielten ihre Arbeiten
c. alternative Deutungen werden
durch Roland Mertelsmann, der
nicht erwähnt,
als Chef von Herrmann und Brach
d. Forschungsergebnisse werden
als Koautor in Erscheinung trat.
abgeschrieben oder gestohlen,
Mittlerweile ist die Anzahl der Ver-
e. wissenschaftliche Ausarbeitun-
öffentlichungen mit mutmaßlichen
gen werden von Ghostwritern
Fälschungen auf über 80 angestie-
verfasst,
gen. Inzwischen wurden die beiden
f. unliebsame Studien werden
Forscher Ihrer Posten enthoben.
unterdrückt oder ignoriert,
Das Forscherduo hätte schon Jahre
g. eigene Ergebnisse werden an das
zuvor auffliegen können, wenn die
vorgefertigte Weltbild angepasst,
Verantwortlichen am MDC die
h. Versuchsanordnungen werden
ersten Warnungen ernst genom-
unprofessionell aufgebaut oder
men hätten. Schon 1994 hatte
bewusst manipuliert.
ein Gastwissenschaftler aus den
USA Professoren am MDC auf
mutmaßliche Fälschungen in der
Arbeitsgruppe des Krebsforschers
Herrmann hingewiesen. Irrtum in der
Wissenschaft
Neben mehr oder weniger be-
wussten Manipulationen finden
sich in der Wissenschaft auch
eine große Zahl unbeabsichtig-
ter Fälschungen. Diese können


Das Fundament 6/2007

beispielsweise durch Nachlässigkeit mit denen an ein Problem heran-

im Versuchsaufbau oder durch gegangen wird, und natürlich auch
das Außerachtlassen wichtiger die Interpretation der gemessenen
Rahmenbedingungen entstehen. oder berechneten Ergebnisse.
Gerade in Beispielen aus der Geschichtliche Beispiele dafür
Wissenschaftsgeschichte fällt auf, liefert zum Beispiel die Kirche, die
dass fehlendes Wissen über die eine geozentrische Astronomie ver-
Natur oder deren Gesetze, dass teidigte, weil sie besser zur eigenen
aber auch ein unzureichendes Theologie passte.
Instrumentarium oder eine wenig
durchdachte Methode falschen
Ergebnissen zu Grunde liegen kön-
nen. Irrtümer entstehen oft durch Fälschungen als Betrug
die Beschränktheit verfügbarer
Methoden und Messinstrumente; Selten wird ein Betrug kaltblütig
Bakterien zum Beispiel konnten geplant und durchgeführt. Es be-
erst entdeckt werden, als man das ginnt mit einer Überinterpretation
Mikroskop hatte. Irrtümer sind der Daten, die man vorbringt und
der unerlässliche Hintergrund, auf dann nicht mehr zurücknehmen
dem sich Erkenntnisfortschritte kann. Und irgendwann muss man
abzeichnen. Nicht selten sind auch dann Protokolle fälschen oder
Wissenschaftler Kinder ihrer ganze Versuche erfinden.
Zeit und werden von ihrem
Weltbild auf eine falsche
Fährte gelockt.
Die eigene
Ideologie oder
die momen-
tane Mode
eines Wissen-
schaftszweiges
beeinflusst den
Blickwinkel der
Forschung, die
Fragestellungen,



Etwas radikaler ist dann der
Diebstahl fremder Forschungser-
gebnisse und Ideen und Vortäu-
schung falscher Tatsachen. Eine
der verbreitetsten Formen von
wissenschaftlicher Unredlichkeit
ist das Plagiat.
Die persönlichen und struktu-
rellen Ursachen wissenschaftlicher
Fälschung sind durchaus vielfäl-
tig. Einzelpersonen und ganze
wissenschaftliche Institute, die
vorwiegend von einem Geldgeber
abhängig sind, stehen in der Ge-
fahr, Ergebnisse, die den Interessen
ihres Auftraggebers zuwiderlaufen,
umzudeuten oder verschwinden
zu lassen. Unangefochtene wissen-
schaftliche Weltbilder verführen zu
Missinterpretationen. Immer wie-
der werden Experimente zugunsten
einer dominierenden Theorie - oder
eines gewünschten Ergebnisses - ge-
lesen. Der Druck auf den Forscher
wird auch durch die verstärkte
gesellschaftliche Nutzenerwartung
ausgeübt. Die Praktiker haben gute
politische und ökonomische Grün-
de, bestimmte Ergebnisse dringend
zu wünschen.
Die Folgen wissenschaftlicher
Fälschungen sind vielfältig. Dabei
wird nicht nur die persönliche
Integrität korrumpiert. Der fäl-
schende Wissenschaftler fungiert
Irrtum und Fälschung in der Wissenschaft
als negatives Vorbild und beschleu-
nigt den Verfall wissenschaftlicher
Glaubwürdigkeit. Leiden müssen
unter den Fälschungen insbeson-
dere ehrliche Wissenschaftler, da
sie durch gründliches Forschen
zeitlich ins Hintertreffen geraten
und auf die vermeintlich sicheren
Ergebnisse der Fälscher aufbauen,
ohne immer alles selbst überprüfen
zu können.
Auch wenn die manipulierten
Ergebnisse alleine keine sofort
sichtbaren Konsequenzen nach sich
ziehen müssen, können die auf den
Fälschungen aufbauenden Arbeiten
weit größere Konsequenzen haben.
Plagiate schaden der Wissenschaft
nicht nur durch die Verbreitung
falscher, möglicherweise gefähr-
licher Daten, sondern vor allem
durch die nachhaltige Beschädi-
gung wissenschaftlicher Motivation.
Verhinderung von
Fälschungen
Natürlich arbeitet die wissenschaft-
liche Gemeinschaft beständig
daran, Fälschungen zu erkennen
und zu enttarnen. Insbesondere
Wissenschaftshistoriker und Wis-
senschaftstheoretiker weisen immer

Das Fundament 6/2007
wieder auf mögliche Gefahren und
Manipulationsmöglichkeiten hin.
Ohne die Dreierkonstellation von
jungen kritischen Wissenschaft-
lern, Journalisten und sensibili-
sierten Politikern wäre kaum eine
der spektakulären Betrugsaffären
in den letzten Jahren bekannt
geworden. Aber trotzdem bleiben
wissenschaftliche Fälschungen
oftmals über lange Zeit hinweg
unentdeckt. Fälschungen werden
von den meisten Wissenschaftlern
als Einzelfälle und Ausnahmen
bezeichnet, obwohl statistische Un-
tersuchungen eher in eine andere
Richtung weisen. Natürlich sind
die Bedenken vor einer bürokra-
Kontrolle
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tischen Überwachungsmaschinerie
verständlich. Auf der anderen Seite
ist die Scheu vor Kontrolle allzu
menschlich, da sie dem Forscher
etwas Autonomie nimmt und ihn
zur Rechenschaft über sein Tun
zwingt. Die Lage hat sich in den
USA und in den skandinavischen
Ländern aufgrund der Einrichtung
staatlicher Überwachungsbüros
und Kommissionen, die von Rich-
tern geleitet werden, wesentlich
verändert. Der Dänische Fonds
zur Förderung medizinischer
Forschung schuf schon 1992 ein
entsprechendes Komitee. 1993 kam
es in den USA zur Reorganisati-
on des OSI (Office of Scientific

Integrity) als unabhängige Behörde
im Gesundheitsministerium. Das
britische Medical Research Coun-
cil (MRC) beschloss im Dezember
1997 Richtlinien zur Handhabung
von wissenschaftlichem Fehlverhal-
ten. Forschungen, die sich auf neue
Medikamente oder Nahrungsmit-
telzusätze beziehen, werden in den
USA routinemäßig von der Food
and Drug Administration (FDA)
geprüft, da hier eine potentielle
Gefährdung weiter Bevölkerungs-
teile durch wissenschaftliche Fäl-
schungen zu befürchten ist. Uni-
versitäten und Fachgesellschaften
wollen vor allem erzieherisch gegen
Fälschungen vorgehen. Einige
Einrichtungen wollen unabhängige
Vertrauensleute benennen, denen
gegenüber begründete Zweifel an
der Arbeit von Kollegen geäußert
werden kann, ohne Nachteile für
die eigene Karriere befürchten zu
müssen. Gängig sind heute lücken-
lose Dokumentationen, um mög-
lichen Unregelmäßigkeiten leichter
auf die Spur kommen zu können.
Dann werden Forschungsergeb-
nisse natürlich durch die weltweite
wissenschaftliche Gemeinschaft
geprüft. Zu dem System der
Gutachter gibt es bislang kaum
eine Alternative. Die Forschung
ist so hochgradig spezialisiert, dass
Irrtum und Fälschung in der Wissenschaft
nur die jeweils kleine Gruppe der
Spezialisten wirklich beurteilen
kann, ob die geplanten Projekte
realistisch und interessant und
die erreichten Ergebnisse von den
Daten gestützt und neu sind. Doch
offensichtlich reagieren auch Gut-
achter als Menschen, die von ihren
Vorurteilen und ihrem Weltbild
geprägt werden.
Leichtes Spiel haben falsche
oder fälschende Forscher nicht
zuletzt auch dank der wissen-
schaftlichen Informationsflut.
Nicht weniger als 60.000 Fachzeit-
schriften gibt es als Publikationsor-
gane der Naturwissenschaften und
Medizin. Der weltweite Ausstoß
an Fachpublikationen liegt bei
etwa 20.000 Arbeiten pro Tag. Das
macht es selbst ernsthaften Gut-
achtern schwer, die Entwicklung
des eigenen Wissenschaftsbereichs
im Blick zu behalten. Insbesondere
in den technischen Forschungen
hat sich der Anwendungsnachweis
als recht sinnvoll herausgestellt.
Was in der Praxis nicht funktio-
niert, wird vergessen. Das ist eine
durchaus praktikable Vorgehens-
weise, die allerdings auch nicht
voll befriedigen kann. Zum einen
könnte der Fehler nicht in der
Forschung, sondern in der unzu-
reichenden Umsetzung liegen, zum
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Das Fundament 6/2007
anderen funktionieren manche
Anwendungen, obwohl sich deren
Grundlage später trotzdem als
falsch herausstellt. Die Anwend-
barkeit oder Wiederholbarkeit ist
eben kein eindeutiger Nachweis
für Wahrheit. So lassen sich die
wiederholt zu beobachtenden Ster-
nenbahnen durchaus wissenschaft-
lich auch auf ein geozentrisches
Weltbild anwenden, nur eben nicht
so einfach. Außerdem lässt sich
diese Prüfung auf die Grundla-
genforschung nur unzureichend
anwenden, da deren Praxistaug-
lichkeit sich oftmals erst Jahre oder
Jahrzehnte später erweisen kann.
Darüber hinaus stößt die theore-
tisch wünschbare Wiederholbarkeit
wissenschaftlicher Experimente an
ganz praktische Grenzen. Solche
Überprüfungen kosten zuviel Zeit
und Geld. Auch „Ockhams Rasier-
messer” („es sollen nicht mehr Hy-
pothesen und Substanzen in einen
Gedankengang einführen, als zu
dessen Erhellung unbedingt not-
wendig sind” oder „die einfachere
Erklärung ist wahrscheinlich die
richtige”) hat zwar durchaus sein
Recht, hilft aber nicht immer bei
der Überprüfung konkreter For-
schungsergebnisse.
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Wahrheit in den
Wissenschaften
In einer Studie beschäftigt sich
der US-amerikanische Wissen-
schaftshistoriker Stephen Shapin
mit der wissenschaftlichen Wahr-
heitsfindung im England des 16.
und 17. Jahrhunderts. Im Zentrum
stand damals das persönliche Ver-
trauen. Als vertrauenswürdig galten
damals einzig die Gentlemen. Auf-
grund ihres gesellschaftlichen Sta-
tus wurden sie als besonders glaub-
würdig angesehen, weil sie - anders
als Kaufleute oder Arbeiter - frei
von ökonomischen Zwängen wa-
ren. Solche Gentlemen wurden zu
wissenschaftlichen Experimenten
geladen, um die Wahrheit der
Resultate zu bezeugen. In seinen
Arbeiten zeigt Shapin, dass wissen-
schaftliche Erkenntnisfindung ein
durch und durch moralisches Un-
ternehmen ist, bei dem Vertrauen
von und in Kollegen eine konstitu-
tive Rolle spielt. Denn wenn man
sich nicht auf deren Beobachtungen
und Daten verlassen kann, gibt es
auch keinen Erkenntnisfortschritt.
Wissenschaftliche Wahrheit sei
nach Shapin keine philosophisch
gerechtfertigte Darstellung, die
notwendig mit der wirklichen Welt
korrespondiert. Ähnlich würde

auch heute „Wahrheit” bestimmt.
Wie in den vormodernen Gesell-
schaften entscheiden auch heute
kleine, einander vertrauende Grup-
pen von Forschern über das, was in
einem bestimmten eng umrissenen
Wissenschaftsbereich als wahr zu
gelten hat. Diese wissenschaftlichen
Gentlemen sitzen Universitäten,
Instituten, wissenschaftlichen
Forschungsgemeinschaften, den
Redaktionen von Fachzeitschriften
und Prüfungsausschüssen vor. Im
Unterschied zur Gegenwart aber
stützte sich der Vertrauensvorschuss
gegenüber dem Wissenschaftler in
früheren Jahrhunderten auf seine
moralische Qualität, die daraus ab-
geleitet wurde, dass er Gottes Buch
der Natur studierte. Und Gott war
die Wahrheit. Jemand, der Gottes
Wahrheit enträtselt, entdeckt auch
den Beweis seiner Existenz und
ist damit moralisch gut. Wissen-
schaftssoziologen wie Robert Mer-
ton meinen, dass es die Selbstkon-
trolle der Wissenschaft ist, die vor
Betrug und Fälschungen schützen:
„Man könne die Forschung nicht
extern kontrollieren und zugleich
genuine Wissenschaft haben - denn
die Bedingung von Wahrheit ist ge-
rade Autonomie. Doch die Voraus-
setzung für Autonomie sind eben
wiederum Vertrauenswürdigkeit
Irrtum und Fälschung in der Wissenschaft
Gen-Mais
und Verantwortlichkeit - und eben
doch: moralisch besser zu sein als
die anderen.”
Auch wenn alle bislang ein-
gesetzten Prüfungsinstanzen
durchaus ihr Recht haben, muss
der Schwerpunkt im Kampf gegen
wissenschaftliche Fälschungen in
der Förderung wissenschaftlicher
Integrität liegen. Wenn der Stan-
dard wissenschaftlicher Zuverläs-
sigkeit generell im Sinken begriffen
ist und gleichzeitig die Menge wis-
senschaftlicher Daten ungebremst
wächst, muss jede Prüfungsini-
tiative scheitern, die die ethische
Integrität und moralische Überzeu-
gung vernachlässigt. Wichtigstes
Instrument darf nicht die Angst
vor möglicher Entdeckung sein,
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Das Fundament 6/2007

sondern die feste innere Ablehnung um Hilfe und Konzentration für

jeder Lüge und jeden Betrugs. die eigenen Forschungen bitten,
Der wissenschaftlich arbeitende insbesondere, wenn die Arbeit an
Christ weiß sich darüber hinaus einem toten Punkt angekommen
nicht nur seinem Arbeitgeber und zu sein scheint, denn letztlich
der Öffentlichkeit verantwortlich. schenkt Gott, der Konstrukteur der
Christen wissen, dass sie letztlich von Wissenschaftlern erforschten
vor Gott, dem unumschränkten Welt, Erkenntnis und Einsicht in
Herrscher des Universums, Rechen- die Zusammenhänge der Wirk-
schaft für ihr Tun ablegen müssen. lichkeit. Die meisten „Großen der
Das steigert ihre Hemmungen, Wissenschaft” in vergangenen
allzu leichtfertig zum Werkzeug Jahrhunderten lebten und arbeite-
wissenschaftlicher Fälschung zu ten mit dieser Perspektive. Das war
greifen. Christen lernen, nicht nur zweifellos eine der Grundlagen für
auf sich und die eigenen Interessen ihren Erfolg, für ihr ausdauerndes
zu achten, sondern Gott in die Arbeiten, ihre Kreativität und Inte-
Rechnung mit einzubeziehen und grität und ihrer Freude an der von
sich der Verpflichtung den Mit- Gott geschaffenen Wahrheit.
menschen gegenüber bewusst zu Wissenschaftler müssen eben
sein. Darüber hinaus können sie nicht nur Söldner einer gewinnori-
ihre innere Ruhe und Gelassenheit entierten Industrie sein, sondern sie
in ihrer Beziehung zu Gott finden können sich auch die Perspektive
und sind damit nicht so anfällig für bewahren, an dem größeren Plan
die Gier nach irdischer Anerken- Gottes für die Menschen mitzuar-
nung oder schnellem aber unmora- beiten. 
lischem Gewinn. Sie können Gott
Literaturhinweise:
- Finetti, Marco/Armin Himmelrath: Der Sündenfall. Betrug und Fälschung in
der deutschen Wissenschaft, Stuttgart 1999.
- Krämer, Walter/Trenkler, Götz: Das neue Lexikon der populären Irrtümer,
München 2001.
- Park, Robert: Fauler Zauber. Betrug und Irrtum in den Wissenschaften, Ham-
burg 2002.
- Zankl, Heinrich: Fälscher, Schwindler, Scharlatane. Betrug in Forschung und
Wissenschaft. Wiley-VCH-Verlag, 2003.

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