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24 Capricci
per Violino solo
op. 1
24 Contradanze Inglesi
per Violino solo
First edition / Erstausgabe
Urtext
Critical Commentary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
III
EINFÜHRUNG
Die vorliegende, dem berühmten Genuesischen Geiger Nic- sälen erfreute sich der Kontertanz einer gewissen Beliebt-
colò Paganini (geb. Genua . Oktober , gest. Nizza heit. So besteht beispielsweise Paganinis Le Streghe, sein be-
. Mai ) gewidmete Ausgabe vereint eines seiner popu- rühmtes „Paradepferd“ für Violine und Orchester, aus einer
lärsten Werke, die Capricci op. , erstmals veröffentlicht Reihe brillanter Variationen über das Thema des einleiten-
im Jahre und Sinnbild zugleich für Paganinis bahn- den Kontertanz aus dem Ballett Il noce di Benevento von
brechende Kunstfertigkeit wie für das Virtuosentum im frü- Salvatore Viganò. Kontertänze waren so erfolgreich, dass
hen . Jahrhundert insgesamt, mit den Contradanze Inglesi, man im . Jahrhundert ihren Missbrauch sowohl in den
schlichten Tanzthemen für Solovioline, die sich, notiert auf Kirchen als auch im Musiktheater zu beklagen begann.
einem einzelnen Notenblatt, in einer Privatsammlung fan- Umgekehrt sind die Capricci nicht zu reduzieren auf ihre
den und die hier nun ihre erste Publikation erfahren. Beide virtuosen Anforderungen oder die Rezeption, die die Ge-
Werke – die Contradanze sehr wahrscheinlich, ohne Zweifel schichte ihnen mit der Konstruktion der „Paganini-Legende“
aber die Capricci – entstanden zu einer Zeit, da Paganini zugewiesen hat. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sug-
zwar als Komponist und Violinist bereits aktiv war, aber gerierte der Titel „Capriccio“ eher eine freiere instrumentale
noch nicht den Ruf eines Teufelsgeigers besaß. Virtuosität mit improvisatorischem Beigeschmack als eine
Direkte Belege für öffentliche Aufführungen der beiden Komposition von folgerichtiger formaler Beschaffenheit. Dies
Werke durch Paganini existieren nicht, wenn auch Eintragun- galt für Locatelli, der Capricen in seinen zwölf Konzerten in
gen auf dem Autograph der Contradanze diesbezügliche An- L’Arte del violino op. ebenso als Kadenzen verwendete wie
haltspunkte liefern könnten. Hinsichtlich ihres Anspruchs Tartini in seinen Violinkonzerten, und auch für Veracini,
kann der Unterschied zwischen den beiden Sammlungen der sie im Sinne einer fuga oder eines ricercare angesehen
indes nicht größer sein. Abgesehen von gewissen philolo- hätte, wäre ihre Entstehung nicht von so vielen Bizzarerien
gischen Vorbehalten ist die Ausgabe der Capricci – versehen charakterisiert. Veracini beurteilte solche Capricci mit ab-
mit einer ebenso allgemein gehaltenen wie prätentiösen Wid- fälliger Geste, die in ihrer Formlosigkeit nur dazu dienen
mung „alli Artisti“ (an die Künstler), d. h. Berufsmusiker sollten, die Fertigkeit des Spielers zu zeigen:
im Gegensatz zu „gli Amatori“ (Liebhaber), der Zielgruppe
Solche Passagen, Arpeggi und Tonfolgen Capriccio zu nennen,
des Großteils der damals gedruckten Musik1 – als in sich die hintereinander weg ohne Struktur und Ziel aus einer Menge
abgeschlossen anzusehen. Dagegen erweckt das nicht mit an Noten, ungereimt und sinnlos aufgetürmt, bestehen, ist ledig-
einer Dedikation versehene Autograph der Contradanze den lich ein geduldeter Missbrauch, der manchmal sogar unange-
Eindruck eines Arbeitsmanuskripts mit umrissartiger Nota- messen begrüßt wird […] Diese Art von Capricen wird üblicher-
tion, das die Möglichkeit für Wiederholungen und, sofern sie weise von einer Solovioline ohne Bass oder andere Begleitung
erforderlich waren, für Bearbeitungen für unterschiedliche vorgetragen, um das Können des Spielers zu zeigen, aber dies
Instrumente freihält. hat andererseits nichts zu tun mit der Sonate oder dem Konzert,
in die sie eingefügt sind.3
Der Kontertanz, ein Gruppentanz im Zweierrhythmus, war
einer der beliebtesten Gesellschaftstänze („balli de società“) Verglichen damit sind, wie Jeffrey Perry betont,
während des . und auch noch der ersten Hälfte des . Jahr- die Stücke op. eher als ernsthafte Kompositionsstudien denn
hunderts. Man sollte keine falschen Schlüsse ziehen aus der als pièces d’occasion gedacht; die Capricci repräsentieren eine frühe
Schlichtheit der üblicherweise Takte (acht pro Phrase) avantgardistische Seite eines Stils, den Paganini – seinerzeit noch
umfassenden Kontertänze und ihrer Funktion allenfalls als unbekannt jenseits der Alpen und außerhalb der norditalieni-
Kompositions- oder Spielübung, die sich an etwas fortge- schen Staaten – wieder aufgab, als er erkannte, dass dieser nicht
schrittene Anfänger richtet. Wie viele Kontertänze nachein- mit den Wünschen des vergleichsweise konservativen italieni-
ander gespielt wurden, für welche oder für wie viele Instru- schen Konzertpublikums in Einklang zu bringen war.4
mente und vor allem wie sie gespielt wurden (Improvisation Paradoxerweise erzielten die Capricci einen solchen Erfolg,
war damals üblich) kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. dass sie auch als Ausgangspunkt für Bearbeitungen oder als
Es ist aber denkbar, dass die Praxis je nach Gelegen heit Themen für Variationenfolgen im Geschmack des . Jahr-
oder Anzahl der Tänzer wechselte.2 Auch in den Konzert-
der Zahl der Tänzer – für die französischen festgelegt, für die englischen
1 Paganini widmete den „amatori“ die zu seinen Lebzeiten ungedruckten nicht. Offenbar hing die Zahl der Wiederholungen von der Zahl der Tän-
Tre Duetti concertanti per violino e violoncello und den „amatrici“ (Liebhabe- zer ab, wie Peschieri weiter schreibt.
rinnen) die Tre gran quartetti a violino viola chitarra e violoncello op. , die in 3 Francesco Maria Veracini, Il trionfo della pratica musicale o sia Il maestro
drei Heften bei Ricordi erschienen (Plattennummern – ). dell’arte scientifica, Autograph in der Bibliothek des Konservatoriums „Luigi
2 Nach Ilario Peschieri, Verfasser des Dizionario parmigiano-italiano rifuso Cherubini“ in Florenz (Signatur: FI CF. , Blatt – ).
corretto accresciuto (Parma: Tipografia di Giuseppe Vecchi , S. ), liegt 4 Jeffrey Perry, ‚Paganini’s Quest: the Twenty-four Capricci per violino
der Unterschied zwischen französischen und englischen Kontertänzen in solo Op. ‘, in: th-Century Music , Nr. (Frühjahr ), S. – .
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